2018 feiert die Architekturwelt das 50. Gründungsjubiläum des Stuttgarter Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA), dem ersten und bis heute größten Institut für Architekturtheorie und Entwerfen in Deutschland. Anlässlich des Jubiläums veranstaltet die Universität Stuttgart vom 22. bis 24. November 2018 eine internationale Konferenz zur Architekturtheorie mit dem Titel IGmAde – 50+ Jahre Architektur, Theorie und Poiesis. Am 23. November 2018 eröffnet abends die gleichnamige Jubiläumsausstellung in Kooperation mit dem Württembergischen Kunstverein.
Das IGmA wurde 1967 gegründet und bezog Position gegen die Theoriefeindlichkeit einer dogmatisch erstarrten Moderne. Im revolutionären Jahr 1968 nahm es seinen geregelten Lehrbetrieb auf. Mehr als ein Vierteljahrhundert lang, von 1967 bis 1993, wurde es von seinem Gründer Jürgen Joedicke geleitet – mit größter internationaler Resonanz. In dieser Ära standen die Geschichte der modernen Architektur und Interpretationen des zeitgenössischen Bauens, aber auch die theoretischen Grundlagen der Architektur und ihre Umsetzung in Gebautes im Vordergrund. Die beiden im Krämer-Verlag erschienenen und mit dem Namen Jürgen Joedicke verbundenen Schriftenreihen – die in 14 Bänden erschienenen Dokumente der modernen Architektur (1961–81) und die in neun Bänden erschienenen Arbeitsberichte zur Planungsmethodik (1969–75) – stellen dies bis heute unter Beweis. Von Anfang an orientierte sich das Institut an Zeitthemen: an Diskussionen über Potentiale der Planungstheorie und Nutzerbeteiligung oder die Relevanz der historischen Stadt. Ebenso war von Anfang an die Verknüpfung von Entwurfslehre und theoretischer Reflexion Programm. Dies schulte das kontextuelle Denken der Studierenden, die ihr Handeln an der Frage ausrichten sollten: Wie wollen wir leben und welche urbane Umwelt wünschen wir uns?
Nach der Emeritierung Jürgen Joedickes übernahm Werner Durth das IGmA, der dort von 1993 bis 1998 seine historischen Studien zum Verhältnis von Tradition und Moderne fortführte. Unter Durth gab es auch eine wichtige, wenngleich fast unmerkliche Umbenennung des Instituts: aus „Grundlagen der modernen“ wurde „Grundlagen moderner Architektur“ – gerade angesichts des Mauerfalls war es mehr als nachvollziehbar, dass „moderne Architektur“ nur im Plural gedacht werden kann. Durths IGmAForschungen fanden ihren wichtigsten Niederschlag in dem zweibändigen Monumentalwerk Architektur und Städtebau der DDR (1998).
Nach einem „Interregnum“, in das im Winter 1998/99 unter der Leitung von Wolfgang Schwinge ein Symposium zum dreißigjährigen Jubiläum des IGmA fiel, übernahm 2001 Gerd de Bruyn den Vorstand des Instituts, das er bis 2018 leitete. Unter ihm blieb das Institut weiterhin seiner Sonderrolle verpflichtet, die konventionellen Grenzen des Bauens zu erweitern und zu überschreiten sowie sich in besonderer Weise um die Vermittlung von Theorie, Kunst und Technik, Natur- und Kulturwissenschaften zu bemühen. Hinzu kamen unter de Bruyn Auseinandersetzungen mit Phänomenen wie der Mode und den Neuen Medien, des Weiteren die Analyse des Wissenschaftscharakters der Architektur sowie das Bauen mit lebenden Pflanzen (Baubotanik).
Initiiert von Stephan Trüby, der im April 2018 die Leitung des IGmA übernahm, geben die Ausstellung und Konferenz neue Einblicke in fünfzig spannende Architektur- und IGmA-Jahre, in denen es nicht zuletzt um die Verschränkungen und Distanzen von Theorie und Entwurf gehen soll. Dabei wird um einen nicht-naiven Praxis-Begriff nicht herumzukommen sein. Praxis, schreibt etwa Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, ist eine Handlung, die ihren Zweck in sich selbst trägt. Dem gegenüber stellt er mit der Poiesis eine Handlung, deren Zweck das unabhängig von dieser Handlung weiterexistierende Werk ist. Nur „Poiesis“ kulminiert in Artefakten und Gebäuden, nicht „Praxis“. Wenn wir vom Bauen und vor allem von Bauwerken sprechen, sprechen wir also besser von der Poiesis als von der Praxis der Architektur. Und bezeichnen wir die Bücher, die Zeitschriften, die Gebäude, die Exkursionen und Reiseberichte sowie die Forschungsberichte und Lehrangebote, die während des letzten halben Jahrhunderts am IGmA oder in dessen Umfeld entstanden, retroaktiv als „Poietiken“. Als Poietiken, die als „igmade-Artefakte“ zur Reflexion einladen in dem Sinne, dass sie am, vom oder in geistiger Nähe zum IGmA gemacht wurden.
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